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barocke Prachtbauten & -Strassen

Kanzleistraße 7
Risalit 3 = TOR III
Markgraf Christian (1581/1603-1655), der 1603 seine Residenz von Kulmbach nach Bayreuth verlegt hatte, ließ in der dem Alten Schloss gegenüberliegenden Schmidtgasse (erst seit 1807 Kanzleistraße) bereits Anwesen erwerben. Nach dem Stadtbrand von 1621 wurde dort ein Neubau errichtet. Der Gesamtplan für diesen ältesten Bauabschnitt stammte von Hofarchitekt Abraham Schade (1583-1657), der die Pläne für den Risalit 3 und den Zwischenbau bis zum Risalit 4 gezeichnet hat.
1625/30 wurde die Kanzlei schon durch Lorenz Unfug vergrößert, „nach einem hölzernen Modell, das jedenfalls der fürstliche Baumeister A. Schade stellte, der auch noch 1644 erwähnt wird – anlässlich der Beschaffung von Bauholz für ein 3. angekauftes Kanzlei-Haus. Johann Fikenscher rühmt 1674 in seiner Oratio de fatis Baruthi dessen Pracht, die große Menge der Zimmer und die drei hofseitigen Säulengänge (Lauben) übereinander, die schon lange nicht mehr existieren.*
*Diese Rede hat Fikenscher, damals Professor am Gymnasium Christian-Ernestinum, auf Latein gehalten, also eher ein Geheimtip für Insider. Vgl. dazu auch Karl Sitzmann 1951 im Illustrierten Führer durch Bayreuth und 1983 in der Kurzbiografie zu A. Schade in seinem Standard-Lexikon Künstler & Kunsthandwerker in Oberfranken.
Über dem 1. Obergeschoss-Fenster befand sich einst als markgräfliches Hoheitszeichen auf Portalrisalit 3 eine Sandsteinkartusche mit dem Brandenburger Adler. Der Wappenstein wurde Anfang des 19. Jh. entfernt und später in die Stadtmauerwand eingefügt. Sie finden ihn dort hinter den Wasserbecken am Hohenzollernring (unterhalb der Fußgängerbrücke zum RotMainCenter). Ersetzt wurde er durch eine Schrifttafel = K(öniglich) Bayer(ische) Regierung von Oberfranken und darüber dem Bayerischen Staatswappen mit den 2 Löwen. Dieses ist auf der nebenstehenden Abbildung noch gut zu erkennen, wurde aber später entfernt. Das Originalfoto von 1910 (Ramme & Ulrich) befindet sich im Fotobestand des Stadtarchivs.
Ein Wappen des Freistaats Bayern ist seit 1965 über Portalrisalit 1 angebracht, also dem zeitlich jüngsten Bauabschnitt der Kanzleistraße 7 (siehe dort mit Abbildung).
Die beiden weiblichen allegorischen Sandsteinfiguren über dem Portal auf den Giebelschrägen stammen aus der Zeit um 1625-1630 und wurden von Hofbildhauer Abraham Graß (1592-1633) geschaffen. Sie stellen 2 der 4 klassischen Kardinaltugenden dar, wie sie seit der griechischen Antike von Platon und Aristoteles überliefert und in den christlichen und politischen Tugendkanon übernommen wurden. Sie galten im 17. Jh. – und später – auch als „weitverbreitetes Verwaltungsleitbild“ (Hellmut Albrecht 1998).
- links die Temperantia (Mäßigung , „zuchtvolles Maß“) mit Glaubens-Kreuz und ? (Bitte beim Rätselraten helfen!)
- rechts die Justitia (Gerechtigkeit) mit Liktorenbündel & Gewichtsstein, leeren Buchseiten & einer Waage.
Beide Figuren wurden 1945 kurz vor Kriegsende durch einen Bombentreffer der Alliierten stark beschädigt und enthauptet. Die heutigen Köpfe sind Nachbildungen. Am 16.3.1950 berichtet Argus (= Pseudonym) in der Fränkischen Presse, wie Kopien dieser Liegestatuen, von den Bamberger Bildhauern Anton & Robert Bauer (Vater & Sohn) in einjähriger Arbeit aus gelbem Sandstein gefertigt, wieder installiert werden. Je 30 Zentner wiegen die beiden „Damen“ und sind 1,8 m lang und 1,1m hoch. Kein Wunder, dass diese Arbeit 2 Tage in Anspruch nahm und viele Zuschauer anlockte.
Dieser Bombentreffer beschädigte den gesamten Risalit. Dadurch wurden aber auch im Geschoss darunter eine bemalte Bohlendecke und im Obergeschoss-Saal – hinter den Portal-Figuren – die verschalte ehemalige Kassettendecke aus der Zeit um 1625/1630 sichtbar, die inzwischen völlig freigelegt und restauriert wurde. Daneben ist ein weiterer Saal mit klassizistischer Stuckdecke aus dem späten 18.Jh.
Dort – inmitten der Mauern und unter dieser Kassettendecke der alten „Kanzley“ – ist seit 1980 die Regierungsbibliothek mit etwa 5 Tausend Bänden untergebracht – juristische und historische Literatur, solche zum Obermainkreis, zur Gesetzgebung des Bezirks Oberfranken, statistische Jahrbücher und Lexika, spezielle Werke zur fränkischen Geschichte und anderes mehr, aus den 1860er Jahren auch das seltene Bavaria-Werk zur „Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern“. Hier befinden sich auch die beiden beschädigten Originale der künstlerisch wertvollen Architekturplastik von damals.
Textredaktion & Fotos: Dr. Karla Fohrbeck
- StadtABT_FHB_Nr.81_Kanzleistraße_Regierung_Portal_1910
- Das alte Hohenzollern-Wappen an der Stadtmauer