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MARKGRAFENKIRCHEN

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STOCKAU – MATTHÄUSKIRCHE

Das Kirchdorf Stockau ist seit 1972 ein Ortsteil der Marktgemeinde Weidenberg im Landkreis Bayreuth, gehörte davor zum benachbarten Lessau und ist wie das benachbarte Neunkirchen eine Filialkirche von Emtmannsberg. Der Ort hatte 2020 genau 259 Einwohner und liegt an dem zur Ölschnitz fließenden Mühlbach. Unsere kleine Kirche entdecken Sie rechterhand von der Ortsmitte, ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt. Aber da sie keinen weithin sichtbaren Turm, sondern nur einen Dachreiter hat und von einer alten Mauer umgeben ist (die Kirche liegt mitten im Friedhof), muss man schon „spähen“.

Matthäus, dem die Kirche gewidmet ist, ist einer der 4 Evangelisten (der mit dem Engel, der ihm die Worte des Evangeliums eingibt). In der Fachliteratur müssen wir noch unter „St-Matthäus-Kirche“ suchen. Die „St.-Kirchen“ werden aber zum Teil umgetauft, weil der Protestantismus keine Heiligen verehrt, man ja denken könnte es handele sich um eine katholische Kirche, und weil die Evangelisten eigentlich auch keine Heiligen sind.

Mitten im Mini-Dorf . . .

1129 wurde das „Stohka“ erstmals urkundlich erwähnt, sogar das Datum ist bekannt (am 26. Mai) – wichtig fürs nächste Jubiläum. Zu der Zeit hatte der Ort schon eine eigene Kapelle. 1540, mit der Reformation (die im Markgraftum Bayreuth 1528 eingeführt wurde), wurde Stockau evangelisch, kam zur Pfarrei und Mutterkirche Neunkirchen und bekam jetzt eine kleine Kirche.

Das Brockenmauerwerk liegt heute unter Verputz, aber die alten Mauern werden im Kern auf die 2. Hälfte 15. bis Ende 16. Jh. datiert. An der Nordwand finden Sie außen noch einen Stein aus dieser Zeit mit der Jahreszahl 1595. Vom Ende des 16. Jh. zeugen auch einige Volutenkragsteine, einer davon (unter der südlichen Traufe) mit „primitivem Fratzenkopf“. Satteldach und achteckiger Dachreiter stammen von 1687.

Man wurde in den Jahrzehnten danach offensichtlich selbständiger und selbstbewusster,  Es gab daher immer wieder Zwistigkeiten, denn die Stockauer wollten den Pfarrer aus Neunkirchen nicht mehr (vor allem bei schlechtem Wetter) alle 14 Tage abholen. MG Friedrich (1735-1763) musste daher 1737 salomonisch schlichten. Sie mussten ab jetzt das „Rechtholz“ liefern.

1765, als die Kirche im Markgrafenstil barockisiert wurde, bekam sie außen neue hohe Rundfenster (und dadurch viel Licht im Innenraum), ein barockes Portal und einen eigenen Sakristei-Anbau im Nordosten – alles durch Maurermeister Sommer aus Weidenberg realisiert.
Danach hat sich baugeschichtlich nicht mehr viel verändert. Ab 1791 gehört das Markgraftum zu Preußen, kommt 1806 unter französische und im Juni 1810 unter königlich-bayerische Herrschaft. Der Emporen-Aufgang an der nördlichen Westecke ist übrigens erst im 20. Jh. angefügt worden.

Von außen also kämen Sie kaum auf die Idee, welch eine andere Welt sich innen auftut.

Ein Klick auf die Bilder stoppt & vergrößert diese.

Info-Box

Evang.-luth. Pfarramt
Pfarrer Wolfgang Maisel
Kirchweg 5
95512 Emtmannsberg
Tel: 09209-246
Pfarramt.emtmannsberg@elkb.de

Bürozeiten Dienstag & Freitag vormittags
Gottesdienst So 10:00 Uhr (14-tägig im Wechsel mit Neunkirchen am Main)
Die Kirche ist tagsüber geöffnet.

. . . eine Mini-Kirche im Markgrafenstil

Aber treten Sie einmal ein in diese kleine rechteckige und innen erstaunlich helle Saalkirche mit ihrem einfachen, nach Vorne gerichteten Gestühl und den an drei Seiten umlaufenden Doppelemporen auf Holzsäulen! Ich war nicht angemeldet, spontan dort aufgetaucht und hatte das Glück, dass die langjährige (übrigens katholische) Mesnerin von nebenan zu Hause war und mir die Kirchentür auftat. Gewaltig ist der Eindruck.

Man muss sich erst einmal hinsetzen, innehalten und diese unerwartete farben- und lebensfrohe Überraschung auf sich wirken lassen. Denn die große Verwandlung bei der stufenweisen Barockisierung 1714/15 (Altar), 1726 (Taufengel) und vor allem 1765 vollzog sich innen. Die dreiseitig umlaufenden Emporen und die Orgel kamen noch etwas später dazu.

Steigt man die schmalen Treppenstufen zur oberen Empore hinauf, dann ist man so dicht unter der Flachdecke, dass man den Stuck mit Händen berühren könnte (Bitte nicht!), und das riesige Auge Gottes im Trinitäts-Dreieck (im Strahlen-, Wolken- und Engel-Kranz) einem gütig, aber unglaublich nah ins Herz sieht.

Von hier aus begreift man dann auch, wie gut die wunderbar fröhlichen Farben an der Decke, am Kanzelaltar und dem Taufengel rechts daneben harmonieren – ein Ergebnis auch der sorgfältigen Renovierung von 1982/83.

Taufengel & Vortragekreuze –
alles Unikate

Die Werkstatt des Hofbildhauers Elias Räntz (1649-1732) lieferte in kurzen Abständen je einen der dort gefertigten, geschnitzten und bemalten Taufengel für die nah beieinander liegenden Kirchen, 1723 für Emtmannsberg, 1726 für Neunkirchen und Stockau.

Taufengel waren in den Kirchen des Markgraftums Bayreuth um diese Zeit durchaus typisch, auch typisiert, hatten als Unikate aber doch stets eine originelle Individualität. Sie sind daher in allen drei Kirchen eine besondere Kostbarkeit. Anders als der übliche Tauf-Stein in der Achse vor dem Altar, stehen diese Tauf-Engel die Woche über oft irgendwo in einem Seitenbereich oder rechts vom Altar, werden aber bei Taufen in die Mitte gerückt.

Die Taufengel in Stockau und Neunkirchen sind sich recht ähnlich, auch in der Körpergröße (in Stockau 88 cm hoch, in Neunkirchen 92 cm) – nur die farblichen Fassungen wurden vom Fassmaler Johann Peter Langheinrich variiert. Das Stockauer „Engelmädchen“ wirkt ländlich derber, der bäuerlichen Volkskunst näherstehend. Die Originalfarben hat man bei der Restaurierung weitgehend berücksichtigt.

Ein besonderer Akzent ist hier das Taufbecken, eine blaue flache Schale, die der (an sich androgyne) Engel – mit beiden Armen balancierend – auf dem Kopf trägt, wobei die rechte Hand fest zupackt, die linke als Faust die konzentrierte Anspannung verrät. Das vergoldete Gewand mit rotem Innenfutter lässt die nackten Beine frei, in graziler, nahezu paralleler und dadurch angesichts der zu tragenden Last „unrealistischer schräger Laufstellung“. Er steht bzw. läuft eben „auf Wolken“.

In Stockau hat der Deckel eine Volutenkrone und obenauf eine aufgeschlagene Bibel, von der sogar ein geschnitztes Eselsohr absteht, und Rosen. Die linke Bibelstelle verweist darin auf den Zusammenhang von Glaube und Taufe bei Markus 16,16 = „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (wohlgemerkt erst glaubt und dann getauft wird). Die andere (rechte Spalte) bezieht sich auf die Taufe im Heiligen Geist bei Johannes 3,3 = „ Jesus antwortete und sprach zu ihm (Nikodemus): Wahrlich, wahrlich, Ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Man nimmt daher pietistischen Einfluss an, in dem der Unterschied zwischen Wassertaufe und Geisttaufe eine wesentliche Rolle spielt, gleichsam eine Zweistufen-Lehre.

Die beiden Vortragekreuze, die ja vor allem bei Begräbnissen die Trauerprozession begleiten, sind um 1730 entstanden, das eine mit Engelköpfchen, das andere mit Dreipässen an den Kreuzenden. Der goldene Strahlenkranz, der von Christus ausgeht und ihn umgibt, nimmt jeweils die Auferstehungsbotschaft schon vorweg und mit hinein in diese Gedenkstunde. Das Leben endet nicht mit dem Tod.

Kanzelaltar –
mit dem „Kopf bis zur Decke“ . . .

So ein fröhlicher, farbenfroh leuchtender und origineller Kanzelaltar! Dennoch nicht überladen, klar gegliedert und von „natürlicher Autorität“. Der Altaraufbau von 1714 stammt wohl von Johann Caspar Fischer aus Bayreuth, dem wir u. a. auch bei den Kanzelaltären in den Markgrafenkirchen von Benk, Trebgast und Wonsees begegnen. Die bunte und goldene Fassmalerei hat 1716 Johann Heinrich Schertel (ebenfalls kein unbekannter Hofkünstler aus Bayreuth) ergänzt. In der kunsthistorischen Fachsprache handelt es sich um einen „gedungenen Holzaufbau“ mit 2 gewundenen blauen Säulen und durchbrochen geschnitzten, vergoldeten und von Weinreben umrankten Akanthuswangen.

„Bis zur Decke“ reicht der Kanzelaltar natürlich vor allem durch das aufwendig geschnitzte, farbige Markgräfliche Staatswappen mit Fürstenhut.
Von unten nach oben könnte man ihn trinitarisch lesen: Jesus & das Abendmahl auf der Mensa, lebendiges Wort & Heiliger Geist (als Taube) auf/über der Kanzel und „halbfiguriger Gottvater“ – so interpretiert es 1959 August Gebessler – im so gennannten Auszug, in diesem Fall einer Art Guckkasten über dem Schalldeckel. Mit dem bloßen Auge ist das auch kaum auszumachen, zumal in der Ikonographie Gottvater plastisch auch mit der Weltkugel in der Hand typisiert wird – macht ja auch Sinn.

Wenn Sie aber auf das Foto klicken und es dadurch vergrößern, erkennen Sie, wie jung der Salvator (Erretter), der die Weltkugel in der Hand hält, dargestellt ist. Zudem weist er mit der rechten Hand nach oben, also eigentlich zum Vater. Das bedeutet, dass wir es mit einem Logos-Altar zu tun haben. Jesus Christus, der Fleisch gewordene Logos (Johannes 1.1), das Mensch gewordene Wort Gottes, das in der Predigt durch den vom Heiligen Geist berührten bzw. erfüllten Pfarrer lebendig wird. Helmuth Meißner, dem wir auch viel präzise Information zur Region und ihren Markgrafen­kirchen verdanken, geht 1982 in seiner Interpretation ebenfalls vom Christus-Salvator aus.

Damit nun die geliebte Predigt nicht allzu lang wird, wird dem Pfarrer wie der Gemeinde deren Dauer angezeigt. Sie benötigen dazu ebenfalls den Vergrößerungsklick als Lupe! Dann entdecken Sie rechts an der Kanzelbrüstung, leicht nach vorne kragend, die vierteilige, kunstvoll gearbeitete barocke Sanduhr. Die drehbaren Gehäuse enthielten unterschiedliche Sandmengen für unterschiedliche Zeitspannen. Solche Sanduhren sind nicht mehr häufig, aber wir finden sie – übers 18. Jahrhundert verteilt – noch in den Kirchen von Himmelkron (dort inzwischen im Stiftsmuseum), Mistelbach, Benk, Harsdorf und Eckersdorf. „A Hinguckerl“ also, wenn man’s weiß.

Der dreiseitige Kanzelkorb wurde übrigens erst 1765 geschaffen und in den schon vorhandenen Altar eingebaut, damit endlich auch Stockau im Rahmen der Barockisierung und Renovierung der Kirche einen typischen Kanzelaltar im Markgrafenstil vorzuweisen hatte.

 . . . & Orgel –
mit dem „Kopf durch die Decke“

Sogar eine keineswegs kleine Orgel hat man in der kleinen Kirche untergebracht. Sie ragt auf der 2. Empore – dem Kanzelaltar gegenüber – durch ein ausgespartes Rechteck in der massiven Decke bis in den Dachbodenraum. Von unten kann man das vergoldete Schnitzwerk am Orgelprospekt daher kaum erkennen.

Deckenstuck  — Himmel auf Erden

Der prächtige Stuck, der die gesamte Kirchenflachdecke ziert (und in den alten Farben sehr schön restauriert wurde), stammt auch aus dem Barockisierungs-Jahr 1765 und wird allgemein Jakob Gerstendörfer zugeschrieben, der von Pegnitz bis Gefrees einige Kirchendecken stuckierte, auch die Decken im Schloss Trockau bei Obernsees. Er starb 1777, und sein Sohn G. Johann Gerstendörfer (1743-1822) hat ihn bei der Arbeit unterstützt und später sein künstlerisches Handwerk fortgeführt.

Also schwelgen wir ein wenig in den beruhigenden Details um das weithin strahlende Auge Gottes – im Zentrum des abschirmenden Wolkenkranzes mit seinen Engelköpfen – herum, bis zu den 4 Eck-Kartuschen in Rocaillen aus Gitterwerk und Rosen.

Barockisierung 1765 – eine farbenfrohe Freudenkirche

Diese Jahreszahl wollte man fürs kollektive Gedächtnis verewigen. Wir finden sie gleich doppelt. Zum einen auf dem Schluss-Stein an der nördlichen Rundbogentür (außen, mit „gefasstem Gewände“). Zum anderen am Außensturz der Sakristei-Türe an der Nordostecke der Kirche. Dass die geniale Renovierung und Neugestaltung der Kirche großenteils auf den damaligen Pastor Christian Friedrich Feder / Pastor zurückging, das bleibt ein Geheimnis, das sich neben besagter Jahreszahl hinter den steinernen Initialen CFFP an den Türstöcken der Sakristei verbirgt.

Denn dass sich Markgraf Friedrich Christian (1763-1769) damals persönlich um diesen Kirchenumbau im Markgrafenstil gekümmert hätte, ist weder überliefert noch anzunehmen. Er hatte generell mit dem Schuldenabbau aus der baufreudigen Zeit von Vorgänger-MG Friedrich & MGin Wilhelmine (1735-1763) genug zu tun. Der Pastor wird seine Pläne dem Consistorium in Bayreuth vorgelegt haben, theoretisch auch dem Hofbauamt, und durfte auf im Markgrafenstil erfahrene und in der Region bekannte Künstler zurückgreifen.

Und es war selbstverständlich, dass das Markgraftum als geistliche Obrigkeitsinstanz „von Gottes Gnaden“ mit Wappen und Fürstenhut über dem Altar repräsentiert wurde – diesmal sogar noch über Christus als Salvator.

Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben …

… und wissen wollen, wie man dahin kommt, dann geht das sogar mit der Bahn. Im Ortskern gibt es einen eigenen, sogar zweigleisigen (Kreuzungs-)Bahnhof, der durch die VGN-Linien R34 und R43 an die Bahnstrecke Weiden–Bayreuth angeschlossen ist (ungefähr im Einstundentakt in beide Richtungen).

Mit dem Auto kommen Sie natürlich auch dahin und können sich dann gleich die Chorturm- und Markgrafenkirche in Neunkirchen ansehen, die von ganz anderem Charakter ist. Von Bayreuth aus fahren Sie östlich (an der Rollwenzelei vorbei) etwa 10 km auf der B 22 Richtung Weiden. Sobald Sie den Roten Main überquert haben, geht es links in einem kurzen Rechtsbogen nach Neunkirchen, weiter nach Glotzdorf und dann erreichen Sie gleich auch Stockau. Von dort können Sie später die Straße weiter nach Lessau ff fahren oder nach Lehen – und damit wieder auf die B22. Man kann natürlich auch die Staatsstraße 2463 nach Weidenberg nutzen.

Aber melden Sie sich vorher an!

Text & Fotos: Dr. Karla Fohrbeck

Literatur:

  • 1952. Evang.-Luth. Dekanat Bayreuth (Hg). Unser Bayreuther Kirchenbezirk
  • 1959. August Gebessler. Stadt und Landkreis Bayreuth.
  • 1972. Helmuth Meißner. Fränkischer Heimatbote Nr.5
  • 1981. Alfred Schelter. Der protestantische Kirchenbau des 18. Jahrhunderts in Franken.
  • 1982. Helmuth Meißner Katalog der Kanzelaltäre in Oberfranken.
  • 1983. Karl Sitzmann. Künstler und Kunsthandwerker in Ostfranken.
  • 1993. Christoph Rabenstein. Stockau. in: Evangelisch im Bayreuther Land. Porträt eines Dekanatsbezirks. Hg: Helmut Hofmann u. Arbeitskreis, Redaktion Helmut Beyer.
  • 1993. Karl Müssel: Bayreuth in acht Jahrhunderten (S. 139)
  • 1996. Helmuth Meißner: Taufengel in Oberfranken.
  • 2021. Im Internet zu Stockau
    a) wikipedia zur Ortsgeschichte b) Evang.-luth. Kirchengemeinde Emtmannsberg zur Filialkirche Stockau

Wir verweisen auch auf die allgemeinere Literatur zu den Markgrafenkirchen im Vorspann zu den Einzelkirchen
und auf die direkten Links zu den Nachbar-Kirchen Neunkirchen und Emtmannsberg